Welt bereisen Das Reiseblog des Ökumenischen Heiligenlexikons

Güle Güle!

   J. Schäfer          

Freitag, 19. Juli

Gestern Abend haben meine Campingplatz-Nachbarn etwas gefeiert - und dabei wurde gelacht. Da fiel mir auf, dass ich die ganzen 10 Wochen keinen Erwachsenen lachend oder auch nur sichtlich fröhlich erlebt haben; die Türkei scheint ein Land, in dem es nichts zu Lachen gibt. In meinem Reiseführer steht, die Redeform der Ironie sei den Türken fremd, man solle sie vermeiden. Ja: es ist ein humorloses Land - das Leben zu hart, der Koran zu rigide, die Regierung zu repressiv? Schade! Das gilt nicht für die Kinder: die sind meist sichtlich fröhlich, oft ausgelassen, genießen die Freiheit, die sie (noch) haben; gelesen habe ich, sie gingen auch sehr gerne in die Schule.
Der Abschied vom Campingplatz - hier der Blick von meinem Stellplatz auf das Haus des Besitzers - fällt nicht sonderlich schwer; es war alles Notwendige vorhanden, aber eben selbstgemacht, und das Wasser war kein fließendes, sondern in Tanks gelagert und schmeckte schal mit leichtem Fäkaliengeruch. Ab dem zweiten Mal habe ich die Zähne mit gekauftem Wasser geputzt und nach dem Duschen habe ich mir den Geschmack mit viel Fanta aus dem Mund gespült. Aber das Meer hier war schön!


In Caeni Gallicani - möglicherweise das heutige Çorlu, heute die am schnellsten wachsende Stadt der Türkei mit Industrieboom - starb die Kaisertochter Konstantia als Märtyrerin. Mit Mühe finde ich diese kleinen Reste der alten Burg nordwestlich der Stadt.

Bizye in Thrakien ist das heutige Vize. Die byzantinische Kirche Hagia Sophia aus dem 6. Jahrhundert, damals Sitz eines Bischofs, 902 oder 903 auch Grabeskirche für eine heilige Maria, die Frau des Stadtkommandanten, an deren Grab sich viele Wunder ereigneten. Im 15. Jahrhundert wurde die Kirche Moschee, 2006 / 2007 renoviert.

Die Reste der Burg in Vize, erbaut um 75. Der Mönch Maximus der Bekenner wurde 653 in den Auseinandersetzungen um den Monotheletismus hierher deportiert.

Letzte Station ist Edirne, das frühere Adrianopolis in Thrakien. Bei der Einfahrt in die Stadt von Norden her grüßt die großartige Selimiye-Moschee, um 1572 gebaut, mit ihren vier 72,5 m hohen Minaretten - die höchsten in der Türkei. Rechts steht die Üç-Serefeli-Moschee, um 1450 erbaut durch die Osmanen als eine der ersten Moscheen in Thrakien. Im Hintergrund auf den Anhöhen ist Griechenland.

Es gibt zwei aktive Bulgarisch-Orthodoxe Kirchen in Edirne, hier die Georg geweihte in der nördlichen Vorstadt, 2004 renoviert.

Jetzt von der Stadt aus: der Blick auf die Selimiye-Moschee mit dem vorgebauten Bazar.

Im Park daneben genießen die Frauen den Tag, während die Männer wohl am Freitags-Gebet teilnehmen. Heimlich will ich sie fotografieren (Frauen fotografieren geht eigentlich nicht), sie bemerken es trotzdem und erst mit einiger List kann ich den Auslöser drücken.

Diese zwei Mädchen dagegen wollen unbedingt fotografiert werden: we pose! - aber gerne! Mit Stolz bewundern sie das Ergebnis.

Der Bazar an der Selimiye-Moschee pulsiert.

Die Brücke über den Fluss Tunca, der - aus Bulgarien kommend - noch immer dieselbe Kloake ist wie vor 23 Jahren; nach 8 km ist die griechische Grenze. Die strategisch günstig gelegen Stadt war immer wieder Schauplatz von Kämpfen: Kaiser Konstantin besiegte hier Lucullus, Kaiser Valens unterlag den Goten, Kaiser Friedrich I. Barbarossa hatte beim 3. Kreuzzug hier sein Winterquartier. Nach der Eroberung durch die Osmanen 1352 wurde Edirne die Hauptstadt ihres Reiches bis zum Fall von Konstantinopel 1453. 1829 kamen die Russen, 1918 die Griechen, seit 1922 ist die Stadt wieder türkisch.

Die andere Bulgarisch-Orthodoxe Kirchen im Süden der Stadt, ebenfalls eine aktive Kirche, Konstantin und Helena geweiht.

Es war dann erst kurz nach 16 Uhr und so beschloss ich, noch heute Bulgarien zu durchqueren - 370 km müssten trotz großer Strecke Landstraße vor Einbruch der Dunkelheit zu schaffen sein. An der Grenze das Schild Güle Güle Türkiye - ja, ich will ganz sicher wiederkommen, Ístanbul und der Norden des Landes warten, Israel sowieso, und ich liebe das Land und seine Menschen, trotz allem ... Aber jetzt bin ich zunächst froh, auf dem Weg in westliche Zivilisation zu sein. Bin ich inzwischen zu alt und unduldsam?

Hinter der Grenze kam mir Bulgarien plötzlich gar nicht mehr so primitiv vor wie auf der Hinfahrt. Und ich kann wieder Radio hören, endlich meine völlig abgelutschten CDs in den Schrank packen! In Sofia wollte ich wieder durch die Stadt hindurch fahren und mir die lange Umfahrung sparen; eigentlich geht das auf sehr breiter Straße fast ampelfrei sehr gut, aber heute war Stadtfest und die Straße in der Innenstadt gesperrt, deshalb irrte ich durch die Gassen der Altstadt - und siehe da: das machte alles einen recht guten Eindruck: adrett gekleidete Menschen auf dem Weg zum Fest, schöne und renovierte Häuser, schmucke Restaurants und Kneipen.
Die Frauen sehen hier wieder wie Frauen aus, was - abgesehen vom Westen - in der Türkei selten ist. Man darf nichts pauschalieren, aber ich meine erkannt zu haben: die Kopftuchträgerinnen sind nicht glücklich - abgesehen von den älteren Frauen im Osten und auf dem Land, die nichts anderes kennen. Aber dort, wo auch jüngere Frauen Kopftuch tragen (müssen?), scheinen sie mir nicht wirklich selbstbewusst, entspannt und zufrieden zu sein. Und ich vermute, dass auch die Männer dann nicht glücklich sein können. Und, zögernd vorgetragen: wenn die Männer sich ihrer Frauen so sicher sein können, müssen sie nicht mehr werben und sich anstrengen - und dann wird vieles schlampig, am Ende ein ganzes Land; die Testosteronschübe und der Hang zum Gigantismus sind dann nur die Kehrseite der Medaille.

Die letzten Kilometer Bulgarien war es dann doch schon wieder Nacht. Gleich hinter der Grenze zu Serbien habe ich also geschlafen - zum ersten Mal seit Wochen wieder bei geschlossener Autotür, denn es war hier herrlich kühl - und zuvor gegessen: in einem Grill-Restaurant an der Grenze - also gewiss kein Gourmet-Tempel, aber: gegrillter Schweinehals: man kann Fleisch würzen! Tomaten- und Gurkensalat: mit Salz, Essig und Öl - und, kaum zu glauben, was es alles gibt: Schafskäse! Dazu crosse Pommes und frischgebackenes Pizzabrot. Ich habe wohl seltenst in meinem Leben so gierig gegessen! Mit Fanta 11 € - das ist preiswert!

Samstag, 20. Juli

Nun stand sicher der ödeste Tag der ganzen Reise vor mir: abgesehen von der Strecke bis Niš und der Umfahrung von Belgrad weitgehend leere Autobahn durch ebene Landschaft: Batschka, Pußta - als der liebe Gott diesen Fleck Erde gemacht hat, hatte seine Kreativität wohl gerade Mittagspause. Für etwas Adrenalin sorgten die Türken: viele auf der Hinfahrt zum Sommerurlaub im Herkunftsland - der gute alte Autoput lebt wieder! - und die ersten schon wieder auf der Rückfahrt. Auf dem schmalen, kurvigen Landstraßenstück bis Niš überholen sie ohne Rücksicht auf Verluste - Testosteron eben. Und an der langen Warteschlange der serbisch-ungarischen Grenze gibt's wieder den Kampf um jeden Zentimeter - aber ich kenne das ja und kann mithalten!
Als ich all die Türken auf der Hin- (nicht mehr wie früher mit Dachständer vollgepackt - es gibt heute alles auch in der Türkei zu kaufen) und Rückreise sehe kommt mir die Frage in den Sinn, wie diese wohl die Diskrepanz zwischen ihrer neuen und der alten Heimat erleben. Sie sehen so wie ich den Unterschied: Welche Emotionen weckt das? Wie gehen sie damit um, dass doch jeder Mensch über das Land seiner Väter und Mütter nichts Negatives denken will? Erklärt sich so das bei uns manchmal mit - scheinbarem! - Selbstbewusstsein einhergehende peinliche Gebaren?
Bei der Ausreise kontrollierte der Serbe alle meine Schränke - was, meint der, könnte ich aus Serbien verbotenerweise mitnehmen? Bei der Einreise in Ungarn - EU- und Schengen-Außengrenze! - wurden dafür umso genauer die Personalien gecheckt; mich begrüßte der Beamte mit Grüß Gottle; statt meine Frage, woher er Schwäbisch könne, zu beantworten, winkte er mich durch. Einen deutschen Pass zu haben ist schon eine feine Sache.
Abends die Fahrt gegen die untergehende, blendende Sonne; im Norden lässt sie sich dabei gaaanz viel Zeit; in der südlichen Türkei geht das ruck-zuck, da hat sie sich tagsüber so verausgabt, dass sie abends schnell ins Bett muss ...

Sonntag, 21. Juli

In Österreich habe ich zuallererst den Luftdruck meiner Reifen kontrolliert. Es ist schwer, in der Türkei Luft zu finden, noch schwerer, ein funktionierendes Gerät auszumachen; wo es ging, habe ich kontrolliert und nachgefüllt und es war anscheinend alles in Ordnung; mit Schrecken habe ich nun festgestellt, dass bis zu 1 Atü fehlt - rund ¼ des notwendigen Luftdrucks. Weil ich damit gerechnet habe, war ich seither sehr verhalten gefahren; dass so viel fehlt, hat mich dennoch überrascht, da hört der Spaß auf, das ist lebensgefährlich!

Ich hatte mir im Internet zwei Campingplätze kurz hinter Wien ausgesucht, aber jetzt war ich ja schon am Vormittag dort; am Mondsee oder Wolfgangsee nahe der deutschen Grenze gibt es auch welche, das wusste ich. Es gibt dort sogar viele Campingplätze - alle übervoll. Die ganze Gegend war an diesem herrlichen sonnigen Sonntag übervoll, am Straßenrand, auf den Wiesen standen Tausende von Autos, dazu Motorradfahrer, Fahrradfahrer - Massen von Touristen und Erholungssuchenden - dann schon lieber Türkei!

Am Telefon hatte ich einem meiner Söhne gesagt, ich wolle die letzten Tage noch etwas in Österreich bleiben. Urlaub vom Urlaub?! antwortete er hörbar verständnislos. Nein: die Türkei war alles andere als Urlaub! Schließlich fiel mir der Waginger See ein, der müsste in der Nähe sein, und da bin ich dann gelandet: auf dem Camping Schwanenplatz. Auch dieser Platz ist gut voll, es ist Urlaubs-Hochsaison, wie mir bewusst wird. Aber hier ist alles so schön, so ordentlich, so selbstverständlich gerade und ästhetisch und funktionierend und grün und ruhig - und man hört Lachen! 16 € am Tag, das Doppelte des Preises vom Platz in Silivri - das ist preiswert! Und das Wetter großartig.

Montag, 22. Juli bis Freitag, 26. Juli

Hier bin ich einige Tage geblieben, um mit der weiteren Aufarbeitung der Reise fürs Ökumenischen Heiligenlexikon zu beginnen und mich zu akklimatisieren.
Und, so Gott will, im September wieder aufbrechen, vielleicht nach Südfrankreich und nach Spanien - in diesem Land war ich - außer auf der Durchreise nach Marokko und Portugal - noch nie. Heute Nacht ist Vollmond - ein gutes Zeichen.

Und dann war ich hier auch wieder Döner essen!

Die Tracks:
Serbische Grenze
Österreichische Grenze
Waging
Stuttgart

geschrieben am 22 / 27. Juli 2013



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