Welt bereisen Das Reiseblog des Ökumenischen Heiligenlexikons

Ausharren als Corona-Gefangener

   J. Schäfer          

Samstag, 21. März

Die Rettungsfliegenden sind alle weggekommen. Am gestrigen Nachmittag gab es zunächst die Meldung, das Paar mit Hund komme zurück, weil der Hund nicht in den Flieger darf. Zwei Stunden später war die Nachricht, Frau und Hund konnten fliegen, aber der Mann komme wieder, weil es mit dem Auto beim Zoll Probleme gab. Tatsächlich konnten alle drei fliegen, allerdings nach Rom und von dort aus heute nach Deutschland. Einer aus der Truppe ist Holländer - andere EU-Bürger aber nehmen die Deutschen nur mit, wenn alle Deutschen Platz im Flieger bekommen haben und dann noch welche frei sind. Toll, vereintes Europa! Aber es hat auch für ihn geklappt, alle haben es also glücklicherweise nach good old Germany geschafft.

Ich stelle mich auf mehrere Wochen Tunesien ein, in Italien und in Deutschland nimmt die Situation zunehmend schlimmere Dimensionen an. Beim Versuch einzuschlafen, überfiel mich gestern Abend die Depri-Stimmung: völlig allein, auf ungewisse Zeit und in einer Umgebung, wo sich die Lage in unkalkulierbarer Weise zuspitzen kann - hätte ich nicht doch auch Fliegen sollen? Aber die gestrige Tageslosung sagt: Der Herr deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit, er birgt mich im Schutz seines Zeltes. (Psalm 27, 5). Oh, du Kleingläubiger! Und außerdem war es schon immer mein Konzept, so zu reisen, dass ich - bei allen Privilegien, Auto, Geld, deutscher Pass - möglichst nah an den Leuten im Land lebe - und hier ist es nun einmal jetzt eben so.
Morgens wache ich gut gelaunt auf. Matthias, ein deutscher Resident, der hier ganz in der Nähe wohnt, kommt vorbei und erzählt, dass es eine große Zahl von Flugzeugen war, die gestern Europaheimkehrer abholten. Und dass in der Wüste kurz vor Douz noch ein LKW mit Deutschen verharrt: ihnen ging die Lenkung kaputt. Vielleicht bekomme ich ja doch noch Gesellschaft …


Morgen ist die Frist für die 14-tägige Quarantäne, die seit einigen Tagen über alle ins Land Gekommene verhängt wurde, für mich vorüber, ich könnte mich dann auch mit dem Auto bis 18 Uhr frei bewegen - wäre nicht heute die Meldung gekommen, dass ab Morgen bis zum 4. April rund um die Uhr totale Ausgangssperre herrscht. Nun bin ich also auf dem Campingplatz gefangen genommen. Meine Hoffnung, Wärme werde das Virus stoppen, scheint falsifiziert, wie mir mein Sohn berichtet; dass die Dominikanische Republik so sehr betroffen ist, scheint dies zu bestätigen. Auf Spiegel online gibt es eine Modellrechnung, wonach die Epidemie ohne Maßnahmen vier Monate dauert und in Deutschland 700.000 Tote fordert, bei moderaten Maßnahmen dauert sie demnach sieben Monate bei 500.00 Toten, bei strikten Beschränkungen - wie hier in Tunesien - geht es länger als ein Jahr mit 100.000 Toten in Deutschland. Andererseits: in China gibt es nun - schon nach acht Wochen - keine Infektionen mehr - außer durch Einreisende. Schlicht und einfach: keiner weiß etwas halbwegs Konkretes.

Es gibt hier sehr gutes W-LAN - anders als zuhause, wo es offenbar inzwischen ständig Probleme gibt, weil die vielen im Home-Office Arbeitenden das Netz überlasten. Dass Deutschland lausig versorgt ist, ist seit langem bekannt, jetzt rächt es sich endgültig. Das hiesige Signal reicht leider nicht in meine Kiste, auf der Hotelterrasse aber ist es für dauerhaftes Sitzen zu kühl - und die Wettervorhersage macht auch für die nächsten 20 Tage wenig Hoffnung. So werde ich mich auf Wartungsarbeiten am Heiligenlexikon konzentrieren, Korrekturlesen z. B., da findet sich (leider) vieles.

Etwas ärgert mich: In unserem Corona-Artikel findet sich der Hinweis, sie sei Patronin gegen Seuchen, ich habe schon vor einigen Tagen - augenzwinkernd - von den steigenden Zugriffszahlen berichtet. Nun gibt es Leute, die unterstellen - unterschwellig - der Eintrag sei falsch und wohl wegen der Seuche hinzugefügt, also sie unterstellen Manipulation. Der Eintrag stammt aus dem Infoblatt der Pfarrkirche in St. Corona am Wechsel, weil dort auf deren Fürbitte eine Seuche gestoppt wurde, weswegen es seit 1504 dort eine Wallfahrt gibt; das Patronat ist also wohl nur regional verbreitet, aber das gilt ebenso für viele andere Patronate. Dass es nun plötzlich weltweit Beachtung findet, haben weder die Leute von damals noch wir erwartet, aber es bleibt natürlich gültig.

Und ansonsten: ausharren, aber - bislang jedenfalls - in freundlicher Umgebung, anders als aus der Heimat berichtet. In der Stadt habe ich das Nötigste gehamstert für die nächsten 14 Tage - z. B. Geld, denn gestern wurde hier von Schlangen an den Geldautomaten berichtet, und Diesel, denn das brauch ich nun zwar nicht zum Fahren, aber noch immer zum Heizen. Es gab keine Schlangen, aber problemlos Geld - so wie auch alles andere. Die Leute sind etwas angespannt, aber gelassen und freundlich, selten gehen sie etwas auf Abstand zu mir als Europäer; wenige tragen Mundschutz.
Und das wieder graue und regnerische Wetter wird sich irgendwann bessern.

geschrieben am 21. März 2020



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