Welt bereisen Das Reiseblog des Ökumenischen Heiligenlexikons

Eine Pilgerfahrt

   J. Schäfer          

Samstag, 18. Mai, bis Montag, 20. Mai

Ich arbeite und genieße das Paradies.

Dienstag, 21. Mai

Am Pfingstdienstag haben der Campingplatzbesitzer Fergin, seine perfekt Deutsch sprechende Freundin Swetlana aus St. Petersburg und ich einen Ausflug entlang der Küste und nach Antakya unternommen, der sich als sehr persönliche Pilgerfahrt herausstellen sollte.


Die Küste Richtung Süden ist nun völlig einsam, zuerst noch Teerstraße, dann Schotter, denn wir fahren durch ein Naturschutzgebiet, das von der Küste bis in die Berge reicht; so soll der Verkehr abgehalten werden, was durchaus gelingt. Plötzlich sehen wir von einer Anhöhe aus ein Schar Pelikane in Flugformation, die von untern vom Meer heraufzieht direkt auf uns zu und dann über uns hinweg.

Die Pelikane sind auf dem Heimweg aus Afrika und kommen so spät zurück, weil sie offenbar vom langen Winter in Europa wussten. Nun nutzen sie die Thermik am Berg um wieder Höhe zu gewinnen. Tiere sind schlauer als Menschen, sagt Swetlana, die sich auf dem Campingplatz besonders liebevoll um die Tiere kümmert und die kleinen Hühner, Truthähne und Pfauen, die sie im Brutkasten schlüpfen ließen, aufzieht.

Wenig später sehen wir ein Fischerboot, hören eine Detonation und erleben einen völlig aufgebrachten Fergin. Es seinen Syrer, sagt er; sie sind beim Dynamitfischen. Er filmt sie und will mit meinem Fernglas die Bootskennung erkunden, um diesen Frevel im Naturschutzgebiet den Behörden anzuzeigen.

Swetlana an dereinsamen Küste zwischen Konacık und Samandağ.

Auf der Schotterstraße kommt man zwar nur langsam voran, dennoch sollte man aufmerksam sein, damit man nicht endet wie dieser Türke, der offenbar die defekte Brücke nicht erkannte; das tragisch-komische Bild muss natürlich auch Fergin mit seinem Foto festhalten.

In Cevlik, dem antiken Seleukia Piera, beginnt ein 15 km langer Sandstrand. Der Ort war der Hafen für Antiochia - das heutige Antakya. Von hier aus segelte Paulus zu seinen Missionsreisen, heute ist es ein Touristenort, v. a. für Erholungssuchende aus Antakya. In der Römerzeit war der Hafen der wichtigste im östlichen Mittelmeer nach Alexandria, bis die Stadt 526 und 528 durch zwei Erdbeben zerstört wurde. Spätestens 325 war sie auch Sitz eines christlichen Bischofs.

Der Berg über Cevlik ist der Musa Dağı, der Mose-Berg. Auf ihm begegnete Mose der Überlieferung zufolge al-Chidr, der nach der Auslegung des Korans als Gottesknecht und mit besonderer Weisheit erfüllt gilt. Auf diesem Berg versammelten sich in den Verfolgungen durch die Türken im Jahr 1915 fast 5000 Armenier und lebten versteckt, bis ein französisches Schiff sie gerade noch rettete. Franz Werfel benannte seinen Roman über den Völkermord an den Armeniern Die vierzig Tage des Musa Dagh - gibt es auf dem Campingplatz zum Lesen.

Um die drohende Versandung des Hafens zu verhindern, ließ Kaiser Titus einen 1400 m langen Graben, davon 930 m als Tunnel, durch Sklaven bauen, mit dem Wasser aus dem Hinterland in großer Menge herbeigeführt werden sollte. Die Arbeiter waren die beim Fall Jerusalems im Jahr 70 gefangen genommenen Juden; ihre Kollegen bauten das Kolosseum in Rom.

Fergin ließ es sich nicht nehmen, dass wir den Tunnel bis an sein Ende - etwas mühsam - durchstiegen. Die Temperatur und das frische Wasser aber waren eine Labsal.

Die Stängel dieser sehr stark riechenden Pflanzen - ihren Namen habe ich vergessen - werden nach dem Verblühen zusammengebunden und so die noch immer verbreiteten Besen hergestellt. Schon vor 23 Jahren wurde überall, wo wir in der Türkei hinkamen, geputzt. Das hat sich nicht geändert: die Türkei ist sicher eines der saubersten Länder. Als Beispiel: wenn unsereins eine Autobahn-Raststätte besucht, pflegt er seine menschlichen Bedürfnisse - und lässt sein Auto warten. In der Türkei lässt man währenddessen auch sein Auto waschen - jedesmal, oft auch die LKWs. Nur meine Kiste ist das schmutzigste Fahrzeug weit und breit.

Auf dem Rückweg sehen wir diesen Baum. Armenier haben ihn nach ihrer Tradtion geschmückt. Von den ursprünglich 1,5 Millionen leben nach dem Völkermord in der heutigen Türkei noch etwa 60.000 christliche Armenier.

In der modernen schönen Stadt Antakya - die Türken nennen sie jetzt Hatay in ihrem Bestreben, für die alten griechischen Städtenamen nun türkische einzuführen - besuchten wir zunächst das Archäologische Museum mit diesem großartigen Sarg aus dem 3. Jahrhundert.

Dort gibt es auch jede Menge wunderbarer Mosaiken, dieses stammt aus dem 2. Jahrhundert aus Daphne - dem heutigen Harbiye bei Antakya. Das kühle Daphne war der römische Villenvorort von Antiochia.

Aus dem 3. Jahrhundert stammt Iphigenie in Aulis nach dem antiken Drama von Euripides, gefunden in Antakya.

Eros und Psyche stammen ebenfalls aus dem 3. Jahrhundert und aus Samandağ.

Diese im Museum als Beter bezeichnete - kopflose - Sitzfigur aus römischer Zeit stammt ebenfalls aus Samandağ. Stellt sie vielleicht Petrus auf seinem Stuhl in Antiochia dar?

Es gibt jede Menge weiterer Schätze im Museum, so diese beiden Löwen vom Eingang eines Tempel der Hethiter aus dem 13. Jahrhundert v.Chr., gefunden nahe Reyhanlı.

Die ältesten Exponate stammen aus dem Chalkolithikum, der Kupfersteinzeit, etwa 3- bis 5-Tausend Jahre v. Chr., so dieses Gefäß für Räucherwerk.

Vor dem Museum ist der Platz der Republik, der Cumhuriyet mit dem Atatürk-Standbild. Am vergangenen Sonntag war der ihm gewidmete Feiertag, der als Jugend- und Sporttag begangen wird und dieses Jahr dummerweise auf den sowieso arbeitsfreien Tag fiel.

Im Stadtzentrum gibt es Reste der alten osmanischen Architektur ...

... und westlich anmutende Fußgängerzonen ...

... und natürlich auch einen Bazar. Man beachte in der Bildmitte die ganz ungeniert ausgestellte Damenwäsche.
Zum Mittagessen lud Fergin uns ein in ein sehr schönes Restaurant im Sultan Sofrasi-Hotel, wir aßen die lokalen Spezialitäten: eine sehr leckere, würzige Suppe auf Joghurt-Basis mit Köfte als Einlage, dann Oruk, frittierte Weizen-Taschen mit einer Füllung aus Hackfleisch, Walnüssen und Kräutern. Hier war Fergin plötzlich richtig beleidigt: als seine Swetlana den Ober fragte, ob sie auch italienischen Kaffee hätten, der sei ihr lieber als türkischer. Das fand er völlig ungehörig und zeigt - als türkischer Mann! - ungeschützt tiefe Emotionen. Die Frage war auch unberechtigt, denn der türkische Kaffee war großartig! Einmal widersprach Swetlana mir heftig: als ich meinte, in Russland würde zuviel Alkohol konsumiert; das stimme nicht und sei ein böses Vorurteil ... So hat eben doch jeder seinen Stolz auf seine Nation.

Beim Essen lüftete sich auch das Geheimnis, warum Fergin unsere Fahrt eine Pilgerfahrt nannte: Er hatte Swetlana versprochen, sie in einer Kirche zu heiraten, obwohl er selbst Atheist ist neunter Generation sei. Und der Ort der Hochzeit werde die Kirche in der Petrusgrotte in Antakya sein, die wir nun besuchen wollten. Wollten: denn dort werden derzeit Steine von der Felsmauer gehauen, um die Besucher nicht zu gefährden; Zufahrt und Kirche sind für die nächsten drei Monate geschlossen, nur das Gelände könne man an 18 Uhr besuchen.
Wir fuhren deshalb zu einer anderen Attraktion am Rande der Stadt: Wasserfällen, die vom Wasserreichtum der Berge hinter der Stadt gespeist werden.

Der Platz mit seiner angenehmen Frische ist auch Tourismus-Magnet, was die Händler anzieht, vor allem - sagte Fergin - Araber und Aleviten.

Es wurde schon Abend, als wir östlich der Stadt zur Ruine einer alten Kreuzfahrer-Burg fuhren durch eine Gebiet im Bergland, in dem die Regierung vor einigen Jahren Turkmenen angesiedelt hat, die aus dem Irak, aus Afghanistan oder auch aus China geflohen waren. Die Regierung stellte jeder Familie Grund und Material zum Hausbau, Land und einen kleinen Traktor zur Verfügung. Sie unterscheiden sich ethnisch von den Bewohnern Turkmenistans, sprechen Dialekte des Türkischen. Ihr Körper ist deutlich kleiner als der der Türken, sie leben in ihren Dörfern als geschlossene Gruppe mit ihren ihren Traditionen. Ausflug in eine andere Welt, wie Fergin sagte.

Als ich in einem Dorf diese Frauen fotografieren will, drehen sie sich (natürlich) schnell weg.

Dann ereichen wir kurz hinter dem Ort Kozkalesi, Walnussberg, die Reste der gigantischen Kreuzritter-Burg Cursat, die einst die Straße von Antakya nach Aleppo - dem heutigen Halab - bewachte. Sie wurde erstmals im 11. Jahrhundert erwähnt, 1275 nahmen die Muslimen sie in Besitz.

Der Versuch, durch einen Gang das Innere der Burg zu erreichen, scheiterte nach einigen Metern an unüberwindlichen Schuttsteinen. Der Gang dient heute offenbar als Stall für Ziegen.

Letztes Ziel am Abend ist dann wieder die Petrusgrotte; links sieht man deren Eingang, darüber die vielen Höhlen, die die frühen Christen in den Fels geschlagen haben. Von den Höhlen führten Stollen ins Innere des Berges, in denen man sich verstecken und vor den römischen Häschern in Sicherheit bringen konnte.

Am Eingangstor zur eigentlichen Petrusgrotte sehen wir die Ergebnisse der seitherigen Arbeiten am Fels. Wir rütteln am Eingang, es kommt auch jemand, aber er lässt sich auch von seinem Landsmann nicht erweichen, uns einzulassen. Die alte Höhlenkirche der Christen erhielt von den Kreuzritter, die Antiochia 1098 erobert hatten eine Fassade, diese wurde 1863 von Kapuzinern restauriert.

Stattdessen wird uns dieser junge Führer zum Kopf der Maria führen. Zunmächst erläutert er - Fergin übersetzt uns - kurz aber durchaus zutreffend die Geschichte des Ortes.

Als Kopf der Maria wird diese Aushöhlung im Fels bezeichnet, die etwas abseits der Petrusgrotte liegt; Swetlana wusste davon. Der Marienverehrer Lukas gilt ja als Gründer der Höhlenkirche, denkbar wäre also, dass die Christen das Relief als Gruß an die Stadt anbrachten ... Die Wissenschaft sagt, es das Porträt von Charon - in der griechischen Mythologie der Fährmann, der die Toten ins Reich des Totengottes Hades brachte -, wahrscheinlicher aber ein Mitglied der Seleukiden-Dynastie, die die Stadt gründete.

Im Abendlicht hat man von der Petrusgrotte einen herrlichen Blick über die Altstadt.

Direkt unterhalb der Grotte liegt die Baustelle des Hotels Muzeum. Fergin erzählte: egal, wo in der Stadt man baue und dabei grabe, stoße man auf antike Reste. Bislang hat man meist einfach weitergebaut, ohne die Behörden zu informieren ... Hier aber entstehe nun dieses riesige Hotel und im Untergeschoss ein Museum; in der Baugrube fand man ein riesengroßes, gut erhaltenes Mosaik.

Unterhalb der Petrusgrotte hat man allerdings schon immer eine größere Fläche von Bebauung freigehalten. Dort finden sich bislang die Reste des alten Stadttores zum antiken Antiochia - heute Treffpunkt der Jugendlichen -; nach Fertigstellung der Fels-Sanierung sollen hier umfangreichere Ausgrabungen stattfinden. Keine Frage: die moderne Stadt Antakya mit ihren überreichen geschichtlichen Zeugnissen hat das Zeug zu einem attraktiven Ziel für Touristen aus aller Welt.

Wir waren glücklicherweise noch vorher da und das als echte Pilger ...

Der Track:
Antakya

geschrieben am 22. Mai 2013


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