Welt bereisen Das Reiseblog des Ökumenischen Heiligenlexikons

Hippies, Spießer und Heilige

   J. Schäfer          

Samstag, 13. Februar, bis Dienstag, 16. Februar

Am letzten Abend auf dem herrlichen Campingplatz bei Marrakech genoss ich das Essen im Resturant - marokkanische Suppe, bestehend aus Linsen und Kichererbsen, dann die schon bekannte Fleisch-Tajine, schließlich zur Krönung ein Eis - alles ausgezeichnet!


Am Morgen dann raus aus Marrakech, das wie in einer Oase liegt, mit Bäumen, grünen Pflanzen und ausreichend Wasser. Nach wenigen Kilometern wird die Landschaft wieder wüstenähnlich, wie sie es schon auf der Herfahrt von Casablanca aus war: Steine und Sandboden, ganz selten ein paar kleine Büschchen. Wovon die Menschen in den wenigen Dörfern leben, bleibt mir ein Rätsel, aber dass der Klimawandel auch hier angekommen ist, wird überdeutlich.

Nach gut zwei Stunden auf hervorragenden Straßen - man darf nur nicht zu schnell fahren, die Polizei lauert überall, winkt aber unschuldige Touristen immer durch, wohingegen die Marokkaner oft angehalten werden - bin ich in Essaouira, Hafenstadt schon der Karthager, im 16. Jahrhundert portugiesische Festung und heute Touristenmagnet.

Traditionell war Essaouira Fischerhafen mit Werft; trotz noch immer unzähligen Booten ist davon wenig geblieben, Marokko hat - wie die anderen afrikanischen Länder - die Fischereirecht an Europa verkauft - d. h. ein Abkommen geschlossen, zu dem es keine Alternative gab -, und gegen die großen, industriemäßig arbeitenden Trawler haben die kleinen Fischer wenig Chancen.

Auch die Werft ist noch aktiv - natürlich auch am Samstagnachmittag. Offiziell gilt in Marokko eine 44-Stunden-Woche, tatsächlich wird eigentlich immer gewerkelt.

Das heutige Essaouira geht auf den französischen Festungsbaumeister Cornut zurück, der es nach der Rückeroberung von den Portugiesen im Auftrag des Sultans befestigte; Cornut hatte sich als Baumeister der Festung La Rochelle einen Namen gemacht; auch die schachbrettförmigen und breiten Straßen - ganz anders als die verwinkelten, engen und somit viel Schatten spendenden Gassen der Städte in arabischer Bauweise - haben hier ihre Wurzel und tragen viel zum weltläufigen Flair bei.

Aber auch der Süden rückt immer näher, Angebote mit Berberteppichen werden häufiger, Touristen werden an vielen Orten schon Kamelritte angeboten.

Essaouira wird zum Tourismuszentrum ausgebaut - dabei hilft sein Flair und sicher auch der Nachruhm, von dem weiter unten die Rede ist. Nahe der Stadt sind ein riesiger 18-Loch-Golfplatz und mehrere Luxushotels - Luxus!, ganz nobel! - entstanden, natürlich gibt es auch einen Flughafen …

… und dann den tollen Sandstrand nebst dank Atlantik höchst angenehmem Klima: im Winter nie kalt, im Sommer durch Wind und den kalten Polarstrom - im Unterschied zum Europa heizenden warmen Golfstrom - nie drückend heiß.

Der Nachruhm: Jimi Hendrix wohnte 1969 hier, auch die Rolling Stones und Bob Marley und andere - allerdings nicht nur in Essaouira, sondern am anderen Ende der Bucht im Dorf Diabat, wo es deshalb dieses Restaurant und Hotel Jimi Hendrix

… und das Café und Restaurant Jimi Hendrix gibt, …

… sonst aber nichts, was man gesehen haben muss. Immerhin: Jan Kalserud erzählt auf seiner Webseite über Essaouira von den Legenden und SPIEGEL-Leser 17352ACE erzählt im Reiseforum, er habe vor einigen Jahren von Dorfbewohnern über die Feste der Hippie-Kommune in den 1968-igern und mit eigenen Augen deren Grafitti in einem Haus gesehen. 1970 wurde dem übrigens ein Ende gemacht, die Freaks des Landes verwiesen.

Sehenswert (??) auch der Fluss hinter dem Dorf, weil er kurz vor seiner Mündung in den Atlantik Wasser führt, was bei anderen Wasserläufen auch Anfang Februar hier höchst selten ist …

… und draußen im Meer die Purpur-Inseln, so genannt, weil die Römer ihn von dort holten. Später Gefangenen-Insel - die Festung ist noch zu sehen -, heute Vogelschutzgebiet, weil dort eine seltene Falken-Art brütet, die dazu hierher kommt, sonst aber in Madagaskar zuhause ist.

Einige Kilometer weiter, über eine schmale Straße zur Küste hin zu erreichen, liegt Sidi Kaouki mit dem Marabut des namengebenden Heiligen direkt am Meer. Das Heiligtum ist Wallfahrtsort für Frauen mit Kinderwunsch, denen der Verehrte hilfreich ist, und gilt zugleich als eines der attraktivsten Wind- und Kitesurfreviere.

Sichtlich sind hier immer noch Hippies unterwegs.

Wenige Kilometer auf der schmalen Straße weiter Richtung Süden in Sidi Mbarek geht der Blick hinaus auf die Weiten des Atlantik.
Auch die Hauptstraße Richtung Agadir ist dann nicht sehr breit - anstrengend zu fahren bei Gegenverkehr, weil die Ränder oft abgebrochen sind. Zunächst geht es kurvig und bergig über die Ausläufer des Atlas-Gebirges, bis auch die Überlandstraße dann fast direkt am Atlantik entlanggeht - wo ein äußerst kräftiger und böiger Wind weht.

Schließlich bin ich am Tagesziel angekommen - dem Atlantica Parc, laut Campingführer ein riesengroßer, im Winter vollgestellter Platz - 700 Stellplätze. Meine Hoffnung, hier eine Waschmaschine zu finden, erfüllt sich - die in Marrakech war leider gerade defekt.
Hier stehen sie: die überwinternden mitteleuropäischen Rentnerpaare - was man insofern verstehen kann, als es Anfang Februar abends um 20 Uhr 20° hat, das ist großartig. Der Rest erschließt sich mir nicht: ab Einbruch der Dunkelheit sitzen die Leute in ihren Wohn-Immobilen - es sind keine Wohnmobile, man bewegt sie nie, hat sich drumrum seine eigene kleine Welt gebaut; im Trend sind aber nicht mehr nur Motorräder und -roller, sondern häufig schon zusätzliche Kleinwagen im Schlepptau, um Einkaufen zu fahren. Zum Baden ist der Atlantik zu kalt, zu besichtigen gibt es hier kaum etwas, also steht man dicht an dicht, kocht, putzt - sehr beliebt! - und ab 18 Uhr schaut man fern, dank Satellit den heimatlichen Sender. Nun herrscht völlige Stille, kein Lichtstrahl dringt aus den völlig abgedunkelten Burgen, Toilette hat man ja eingebaut und rollt am nächsten Tag den Auffangbehälter über den Platz. Abweichendes Verhalten, womöglich außer zum Einkaufen den Platz zu verlassen, gibt es kaum.
Wichtig: nach der Mittagspause wird Boule gespielt, stundenlang, jedenfalls von den Franzosen, und die stellen die große Mehrheit. 37% aller Marokko-Touristen kommen aus Frankreich, nur 5% aus Deutschland.

Mittwoch, 17. Februar, bis Freitag, 19. Februar

Es ist einfach herrlich: hier das Meer kurz vor Agadir.

Ein Stück südlich von Agadir liegt Sidi Ouassai - einer der Orte, von denen die Überlieferung sagt, dass der Prophet Jona - in der muslimischen Tradition Yunus genannt - an dieser Stelle von dem Meerestier, das ihn verschluckt hatte, wieder ausgespuckt wurde. Der trutzig auf die Uferfelsen gebaute Marabout steht an diesem Ort.

Der Eingang zum Marabout - für Nicht-Muslime leider betreten verboten.

Der Marabout steht unweit der Mündung des Flusses Massa in den Atlantik; das Flusstal ist ein kleines grünes Paradies in der sonst unwirtlicen Landschaft.

Das Mündungsgebiet ist Nationalpark, errichtet mit Hilfe der staatlichen deutschen Entwicklungsorgsanisation GTZ. Es wurden Antilopen, Gazellen und Strauße aus dem Zoo in Hannover angesiedelt, die hier schon ausgestorben waren, aber sich nun wieder vermehrt haben; außerdem leben Flamingos, Ibisse und Reiher hier. Leider sieht man die scheuen Tiere meistens nicht, schreibt der Reiseführer. Stimmt.
Der Eindruck, der Fluss führe viel Wasser, ist falsch: die Fließrichtung geht ins Landesinnere, es ist Meerwasser.

Auf der anderen, der nördlichen Seite der Massa-Mündung gibt es unterhalb Sidi R'bat in den Uferfelsen viele Höhlen, traditionell von Fischern bewohnt und benutzt.

Einige dieser Höhlen werden heute für moderne Zwecke genutzt, denn auch hier sind die Surfer gerne zugange, es gibt auch zwei luxoriöse Hotels in dem kleinen Ort.

Nach zeitraubender Fahrt - es geht bergig und kurvig durch de Ausläufer des Anti-Atlas, die überladenen LKWs schleichen die Berge aufwärts, überholen ist kaum möglich - erreiche ich in einem Tal an der Südseite des Anti-Atlas den Campingplatz La Vallée bei Abaynou, schattig und ein letztes kleines Paradies vor der Sahara. Strom und Wasser gibt es nicht immer, Internetverbindung gar nicht, dieser Sanitärblock ist einfach, aber sauber.
Mit einer Woche Verspätung erfährt man vom Tod des 31jährigen Sascha W. aus Kraichtal in Baden-Württemberg. Er war der Verlobte von Melisa M., die im März 2015 vom NSU-Untersuchungsausschuss in Stuttgart befragt worden war und vier Wochen danach im Alter von 20 Jahren an einer Lungenembolie verstarb, 20 Jahre alt. Melisa M. wiederum war zuvor die Freundin von Florian Heilig, einem Neonazi-Aussteiger, der am 16. September 2013 in seinem Auto auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart verbrannte; am selben Tag sollte er vom Landeskriminalamt zum Thema NSU vernommen werden. Heilig hatte zuvor schon gesagt, er wisse, wer die Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter 2007 ermordet hatte und, dass das nicht Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gewesen seien.
Neben den Todesfällen Sascha W., Melisa M. und Florian H. gibt es zwei weitere Tote im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex: Thomas Richter, V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz in der rechten Szene mit dem decknamen Corelli, der im April 2014 tot aufgefunden wurde, gestorben angeblich an einer nicht erkannten Diabetes. Sein Name steht auf der Adressliste von Uwe Mundlos. Und der 18 Jahre alte Arthur Christ: Seine verbrannte Leiche wurde im Januar 2009 neben seinem Auto auf einem Waldparkplatz nördlich von Heilbronn gefunden, ob Mord oder Selbstmord blieb ungeklärt. Sein Name taucht in den Ermittlungsakten der Sonderkommission Parkplatz zum Heilbronner Polizistenmord auf, er soll eine Ähnlichkeit mit einem der Phantombilder der mutmaßlichen Polizistenmörder haben.
Heute wird im Landtag Baden-Württemberg der Abschlussericht des NSU- und Polzistenmord-Berichtes diskutiert. Die Täter waren demnach zweifelsohne nur Böhnhardt und Mundlos. Zweifelsohne sind auch die fünf jungen Toten reiner Zufall …

Auch am Rande der Sahara gibt es schlechtes Wetter: schon die genze Nacht und dann den ganzen Freitag hat es geregnet, selbst der Berber vom Campingplatz hat sein Ölzeug aktiviert. Der lehmhaltige Sand kann das Wasser nicht schlucken, überall stehen Pfützen und der Fahrweg ist eine Rutschbahn. Und 9° um die Mittagszeit - nicht das, was man am Rande der Sahara erwartet; ich bin wieder froh über meine Standheizung.

Samstag, 20. Februar

Heute ist in Guelmim - das war vor 25 Jahren der südlichste Punkt unserer Reise - Markttag. Damals war der Markt auf einem großen freien Platz, heute ist er hinter einer langen Mauer und größtenteils überdacht.
Vor dem Markt werden einem Pferd die Hufe gerichtet.

Der Viehmarkt ist unter freiem Himmel.

Auch hier sind die Spuren des Regens noch deutlich.

Guelmim, die Stadt mit Wasser war früher - wie nun auch für mich - Ausgangspunkt der Karawanen in den Senegal und nach Timbuktu in Mali.

Nein, ich will kein Kamel kaufen, auch wenn der Händler einen Bruder in Hannover hat und er mich deshalb mit guten Tag begrüßt. Sehe ich so deutsch aus?

Der Reiseführer schreibt, der Kamelmarkt werde nur noch für die Touristen abgehalten. Das stimmt so nicht, es wird offensichtlich gehandelt und gekauft, auch wenn die Touristen sicher ein wichtiger Faktor sind. Heute werden die Kamele nicht mehr für Karawanen gebraucht - das machen die LKWs schneller -, sind aber gefragt als Reittiere für Touristen und als Fleischlieferant.

Die EU-Bestimmungen für Tiertransporte gelten hier noch nicht …

… trotzdem wird liebevoll mit den Tieren umgegangen, sie sind ja auch wertvoller Besitz. Jedenfall wäre ich lieber Schaf in Marokko als Schwein in deutschen Mastfabriken.

Guelmim wird zu einem Tourismuszentrum ausgebaut: Sahara-Touren und der nahe Atlantik mit Sandstrand locken, es gibt eine neue große Hotelfachschule am Stadtrand. Und vor der Stadt mitten im Nichts das beeindruckende Stadttor.

Die Tracks:
Atlantica-Parc
Abaynou

geschrieben am 13., 18. und 20. Februar 2016


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