Welt bereisen Das Reiseblog des Ökumenischen Heiligenlexikons
Warnung: MISSING_FUNCTION

"Shukran", Danke Marokko!

   J. Schä­fer          

Mitt­woch 2. März, bis Mon­tag, 21. März

Auf dem sym­pa­ti­schen Cam­ping­platz Terre d'Ocean bei Aga­dir ge­noss ich das Wet­ter, die Ruhe, die ge­pfleg­ten Sa­ni­tärs, die per­fek­te Um­ge­bung zum Ar­bei­ten.
Die Zahl der Über­win­te­rer wird jetzt wei­ni­ger, viele Plät­ze sind schon frei, noch vor 14 Tagen gab es kaum einen Platz, er­zäh­len ei­ni­ge. Wie schon zuvor be­ob­ach­tet, fällt die Zu­rück­hal­tung der vie­len Fran­zo­sen auf: ein bon­jour, kaum mehr. Es gibt hier nun erst­mals auch ei­ni­ge Deut­sche, die emp­fin­den ge­nau­so; eine Frau aus Tau­ber­bi­schofs­heim sagt, sie wolle des­halb nicht wie­der nach Ma­rok­ko kom­men - scha­de. Mein eben­falls deut­scher Nach­bar hat trot­zig die Deutsch­land-Fah­ne ge­hisst - ob das hilf­reich ist, wage ich sehr zu be­zwei­feln.
Im Juli letz­ten Jah­res schrieb ich hier nach der ent­schei­den­den EU-Rats­sit­zung in Sa­chen Grie­chen­land: Mer­kel hat ver­lo­ren, Grie­chen­land bleibt im Euro. In der deut­schen Pres­se wurde das da­mals als gro­ßer Er­folg dar­ge­stellt, die Kanz­le­rin habe sich durch­ge­setzt, die Haus­halts­dis­zi­plin gelte nun für ganz Eu­ro­pa. Das war Wunsch­den­ken: Eu­ro­pa hat da­mals ge­lernt, dass die Deut­schen un­be­lehr­bar sind und über Lei­chen gehen - das kann man an­ge­sichts des Zu­sam­men­bruchs des Ge­sund­heits­we­sens in Grie­chen­land, der vie­len Grie­chen, die sich ihre Me­di­ka­men­te nicht mehr kau­fen kön­nen und der dras­tisch ge­stie­ge­nen Selbst­mord­ra­te durch­aus sogar wört­lich neh­men. Eu­ro­pa zahlt das nun Deutsch­land heim in der Flücht­lings­fra­ge. Und un­se­rer eu­ro­päi­schen Mit­bür­ger haben ihre Zu­rück­hal­tung wie­der ak­ti­viert. Von Ade­nau­er über Brandt bis Kohl: deut­sche Po­li­tik hat 60 Jahre lang daran ge­ar­bei­tet, dass uns die Leid­ge­prüf­ten an­de­ren es schlie­ß­lich ge­glaubt haben: Wir wol­len ein Volk guter Nach­barn sein. Mer­kel hat das kon­se­quent zer­stört, um der neo­li­be­ra­len Ideo­lo­gie wil­len.


Die Zeit auf Terre d'Ocean dien­te auch der Trau­er­ar­beit mei­nes Schei­terns in Mau­re­ta­ni­en - eine der gro­ßen Nie­der­la­gen mei­nes Le­bens, den­noch der rich­ti­ge Schritt auch im Nach­hin­ein be­trach­tet.
Wir geben Ent­wick­lungs­hil­fe, wir tun etwas, denn wir sind die Guten. Dach­te ich. Und habe mir an­ge­se­hen, was Deutsch­land in Mau­re­ta­ni­en tut - die Web­sei­te der Ge­sell­schaft für In­ter­na­tio­na­le Zu­sam­men­ar­beit lis­tet das schön auf; man muss sich das an­schau­en:
Po­li­zei­pro­gramm Afri­ka – Mau­re­ta­ni­en Ziel: Die Leis­tungs­fä­hig­keit der na­tio­na­len Po­li­zei Mau­re­ta­ni­ens ist ins­be­son­de­re in Hin­blick auf die po­li­zei­li­che Grenz­si­che­rung sowie Pro­fes­sio­na­li­sie­rung in Teil­be­rei­chen ge­stärkt. … Fünf Grenz­sta­tio­nen sind in­zwi­schen voll funk­ti­ons­fä­hig: Eine Grenz­sta­ti­on wurde neu er­rich­tet und zu­sam­men mit vier wei­te­ren Grenz­sta­tio­nen mit spe­zi­el­ler Aus­rüs­tung etwa zur Per­so­nen­kon­trol­le und -er­fas­sung aus­ge­stat­tet.
Men­schen­rechts­för­de­rung und -dia­log Das Vor­ha­ben ist Teil der Son­der­initia­ti­ve zur Sta­bi­li­sie­rung und Ent­wick­lung in Nord­afri­ka und Nah­ost. Mit den Pro­jek­ten der Son­der­initia­ti­ve trägt das Mi­nis­te­ri­um dazu bei, wirt­schaft­li­che und so­zia­le Per­spek­ti­ven für die Men­schen in der Re­gi­on zu schaf­fen. Im Fokus ste­hen dabei die The­men­be­rei­che Ju­gend- und Be­schäf­ti­gungs­för­de­rung, wirt­schaft­li­che Sta­bi­li­sie­rung, De­mo­kra­ti­sie­rung sowie die Sta­bi­li­sie­rung von Nach­bar­län­dern in Kri­sen­si­tua­tio­nen.
Un­ter­stüt­zung der Re­form­pro­zes­se in den Be­rei­chen Öf­fent­li­che Fi­nan­zen und De­zen­tra­li­sie­rung in Mau­re­ta­ni­en Ziel: die Par­ti­zi­pa­ti­on der Be­völ­ke­rung wurde ge­stärkt. Durch die Ver­öf­fent­li­chung staat­li­cher Haus­halts­in­for­ma­tio­nen auf der In­ter­net­prä­senz des Schatz­amts er­hal­ten Bür­ge­rin­nen und Bür­ger einen ver­bes­ser­ten Zu­gang zu staat­li­chen Haus­halts- und Fi­nanz­in­for­ma­tio­nen sowie zu Re­chen­schafts­be­rich­ten von In­sti­tu­tio­nen des öf­fent­li­chen Fi­nanz­ma­nage­ments.
Stei­ge­rung der Ka­pa­zi­tä­ten zur An­pas­sung an den Kli­ma­wan­del im länd­li­chen Raum Es wer­den zu­nächst kon­text­spe­zi­fi­sche und gen­der­sen­si­ble Ver­wund­bar­keits­ana­ly­sen (Vul­nera­bi­li­täts­ana­ly­sen) durch das Con­sul­ting­un­ter­neh­men adel­phi con­sult GmbH er­stellt. Auf deren Grund­la­ge wer­den Op­tio­nen ent­wi­ckelt, wie eine an­ge­pass­te kli­ma­sen­si­ble Be­wirt­schaf­tung der na­tür­li­chen Res­sour­cen er­fol­gen kann, und ent­spre­chen­de Be­ra­tungs­kon­zep­te ent­wi­ckelt, um die lo­ka­le Be­völ­ke­rung bes­ser über die Ri­si­ken des Kli­ma­wan­dels für die Er­näh­rungs­si­che­rung zu in­for­mie­ren.
Re­gio­na­les Netz­werk für in­te­grier­te Ab­fall­wirt­schaft im ME­NA-Raum (= Ägyp­ten, Al­ge­ri­en, Jemen, Jor­da­ni­en, Li­ba­non, Ma­rok­ko, Mau­re­ta­ni­en, Pa­läs­ti­nen­si­sche Ge­bie­te, Tu­ne­si­en) Das re­gio­na­le Netz­werk SWEEP-Net (Solid Waste Ex­ch­an­ge of In­for­ma­ti­on and Ex­per­ti­se Net­work in the MENA Re­gi­on) bringt Fach­leu­te aus na­tio­na­len öf­fent­li­chen Ein­rich­tun­gen, Kom­mu­nen, Wirt­schaft, Wis­sen­schaft und Zi­vil­ge­sell­schaft zu­sam­men. Es wur­den vier Re­gio­nal­kon­fe­ren­zen durch­ge­führt, bei denen sich rund 600 Fach­leu­te aus­tausch­ten. Rund 1400 Fach­leu­te nah­men an über 40 na­tio­na­len und re­gio­na­len Work­shops teil.
Ma­nage­ment na­tür­li­cher Res­sour­cen 1. Die Leis­tungs­fä­hig­keit des Um­welt­mi­nis­te­ri­ums wird durch Po­li­tik-, Fach- und Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­ra­tung ge­stärkt. 2. In Ko­ope­ra­ti­on mit in­ter­na­tio­na­len Na­tur­schutz­or­ga­ni­sa­tio­nen wird ein Pro­gramm zum Bio­di­ver­si­täts­er­halt im Erd­öl- und Erd­gas­sek­tor un­ter­stützt. Dar­über hin­aus be­tei­ligt sich das Vor­ha­ben an der Ein­rich­tung einer in­ter­sek­to­ra­len Kom­mis­si­on zum Er­halt der Mee­res- und Küs­ten­bio­di­ver­si­tät. 3. Das de­zen­tra­le Ma­nage­ment der na­tür­li­chen Res­sour­cen in den Agrar-, Wald- und Wei­de­ge­bie­ten im Süden des Lan­des wird aus­ge­baut. Die di­rek­te Un­ter­stüt­zung der Nut­zer­ver­ei­ni­gun­gen wird dabei re­du­ziert und der Kom­pe­tenz­trans­fer an die Mi­nis­te­ri­en und Kom­mu­nen aus­ge­baut.
An­pas­sung mau­re­ta­ni­scher Küs­ten­städ­te an den Kli­ma­wan­del Schutz der Stadt Nouak­chott vor den Fol­gen des Kli­ma­wan­dels. Aus­gangs­punkt aller Ak­ti­vi­tä­ten ist eine Kon­so­li­die­rung des vor­han­de­nen Wis­sens. Seit 2004 wur­den zahl­rei­che Stu­di­en vor­ge­legt, je­doch je­weils nur zu punk­tu­el­len Fra­ge­stel­lun­gen. Das Vor­ha­ben ent­wi­ckelt ein In­for­ma­ti­ons­sys­tem (Ad­apt­NKC), das allen be­tei­lig­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen Zu­griff auf ent­schei­dungs­re­le­van­te Daten ge­stat­tet und bie­tet ein­fa­chen Zu­griff auf über 1000 the­men­re­le­van­te Do­ku­men­te. Auf einer Stu­di­en­rei­se nach Nord­deutsch­land Ende 2013 konn­te die Kom­pe­tenz der Sta­ke­hol­der zum Küs­ten­schutz ge­stärkt wer­den. 12 Teil­neh­men­de – De­le­gier­te des Um­welt­mi­nis­te­ri­ums sowie Ver­tre­ter aus Küs­ten­kom­mu­nen – konn­ten ihr Wis­sen über An­pas­sung an den Kli­ma­wan­del ver­tie­fen sowie sek­tor- und in­sti­tu­tio­nen­über­grei­fen­de Zu­sam­men­ar­beit ken­nen­ler­nen.
Die Auf­zäh­lung ist voll­stän­dig.

Das sind alle der­zei­ti­gen Pro­jek­te der deut­schen Ent­wick­lungs­hil­fe. Ich möch­te wirk­lich nicht un­ge­recht sein und ich gönne all den deut­schen So­zi­al­wis­sen­schaft­lern, die die Pro­jek­te ver­wal­ten, ihren Ar­beits­platz von Her­zen. Aber für mich sind das alles reine Kopf­ge­bur­ten, schon die Ter­mi­no­lo­gie ist ent­lar­vend genug. Das Po­li­zei­pro­gramm dient der Un­ter­bin­dung von Mi­gra­ti­on, also den deut­schen In­ter­es­sen. Für Ju­gend­li­che wird die Men­schen­rechts­för­de­rung be­reit ge­hal­ten; sie hät­ten gerne aber Ar­beits­plät­ze, Lohn, Ein­künf­te. Schön, dass die Re­form­pro­zes­se den Staats­haus­halt trans­pa­rent ma­chen, die Men­schen in Mau­re­ta­ni­en wer­den das si­cher alle im In­ter­net nach­voll­zie­hen. In Sa­chen An­pas­sung an den Kli­ma­wan­del sind Vul­nera­bi­li­täts­ana­ly­sen durch das Con­sul­ting­un­ter­neh­men na­tür­lich hilf­reich: zwar haben die Leute nichts mehr zu essen, aber sie sind nun bes­ser über die Ri­si­ken des Kli­ma­wan­dels für die Er­näh­rungs­si­che­rung in­for­miert; sie wuss­ten ja noch gar nicht, dass sie Hun­ger haben. In der Ab­fall­wirt­schaft kön­nen afri­ka­ni­sche Bü­ro­kra­ten an Kon­gres­sen teil­neh­men, dann müs­sen sie nicht für die Ein­füh­rung einer Müll­ab­fuhr sor­gen. Die na­tür­li­chen Res­sour­cen wer­den auf­blü­hen ob neuer Leis­tungs­fä­hig­keit des Mi­nis­te­ri­ums. Und die Küs­ten­städ­te - im Un­ter­ti­tel ist es nur noch eine, Nouak­chott, wird ihr Ver­sal­zungs- und Ver­san­dungs­pro­blem lösen, nach­dem afri­ka­ni­sche Be­am­te an nord­deut­schen Dei­chen ge­se­hen haben, wie man diese mit or­dent­lich grü­nen Wie­sen schützt; sie wer­den es an den von Über­schwem­mung heim­ge­such­ten Sand­dü­nen in ihrer Hei­mat nach­ma­chen kön­nen: ein­fach Gras sehen und auf Regen war­ten.
Das Pro­blem - ich weiß es zwar nicht, bin mir den­noch si­cher - ist dabei erst durch Ent­wick­lungs­hil­fe ent­stan­den: die Idee, Nouak­chott ver­söh­nend an diese Stel­le zu plat­zie­ren, hin­ter den vom Meer schüt­zen­den Sand­dü­nen, kam von den Be­ra­tern. Die ethi­sche Idee war si­cher gut; ver­ges­sen haben die Be­ra­ter, dass die Dünen stän­dig Nach­schub brau­chen: von Wes­ten knab­bert das Meer sie ab, von Osten aber wer­den sie durch den Sand des Har­mat­tan ge­nährt. Wenn man nun aber öst­lich der Dünen eine Stadt baut, kommt der Nach­schub nicht mehr an, der Sand bleibt - sicht­lich! - in der Stadt lie­gen, die Dünen ver­fal­len. Ein­hei­mi­sche hät­ten das ge­wusst, aber die wur­den na­tür­lich nicht ge­fragt, Wis­sen haben ja nur die aus­ge­bil­de­ten Ex­per­ten.
Es ist ab­surd! Für die Men­schen in Mau­re­ta­ni­en kommt bei al­le­dem nichts 'rüber. In­ter­es­sant auch, dass auf der Web­sei­te alle Zah­len über die auf­ge­wen­de­ten Gel­der feh­len.

Aber, unter den ab­ge­schlos­se­nen Pro­jek­ten könn­te eines wirk­li­che Hilfe be­deu­tet haben? Zwei Bei­spie­le:
Nach­hal­ti­ge Be­wirt­schaf­tung der Fi­sche­rei­res­sour­cen Die Be­wirt­schaf­tungs­plä­ne legen genau fest, wann, wo und wie viel von wel­cher Fisch­art ge­fan­gen wer­den darf. Sie be­stim­men die Auf­la­gen für Boote (sic !) und die Schon­zei­ten.
Ver­bes­se­rung von En­er­gie­dienst­leis­tun­gen Ziel: Ver­tei­lung von en­er­gie­ef­fi­zi­en­ten Her­den in der Gui­di­mak­han-Re­gi­on zu för­dern. Bis De­zem­ber 2014 konn­ten in Mau­re­ta­ni­en be­reits 54 Pro­du­zen­ten in Her­stel­lung und Ver­trieb ver­schie­de­ner En­er­gie­spar­her­de aus­ge­bil­det und 3781 Herde ver­kauft wer­den. Damit wird der Holz­ein­schlag und die damit ein­her­ge­hen­de wei­te­re Ver­step­pung ver­mie­den.

Beim ers­ten Pro­jekt wird also der Man­gel an Fi­schen für die ein­hei­mi­schen Fi­scher - hof­fent­lich ge­recht - ver­teilt. Am ei­gent­li­chen Pro­blem, der Aus­beu­tung der Fisch­be­stän­de durch die EU-Traw­ler, än­dert sich nichts. Beim zwei­ten, ge­wiss sehr hilf­rei­chen Pro­jekt, wur­den 3781 Herde ver­kauft. Mau­re­ta­ni­en hat 3 Mil­lio­nen Ein­woh­ner, also ge­schätzt 600.000 Fa­mi­li­en und eben­so­viel Herde. Für 0,63016 Pro­zent wurde nun tat­säch­lich ein Pro­blem ge­löst - wenn auch mit dem ei­ge­nen Geld der Leute vor Ort. 0,63016% des Pro­blems ge­löst, be­zahlt von den Mau­re­ta­ni­ern - beim ein­zi­gen Pro­jekt, das tat­säch­lich eine Lö­sung dar­stellt. Toll! Wir sind die Guten!

Kri­ti­ker mögen ein­wen­den: Ich sei po­le­misch, das stimmt nicht: ich bin sar­kas­tisch. Oder: Er­kennt­nis sei doch die Grund­la­ge für Pro­blem­lö­sun­gen. Das muss man einem Theo­lo­gen nicht sagen (ge­wiss: es gab und gibt Theo­lo­gen, die reden, ohne das Pro­blem zu ken­nen; sie sind keine Theo- son­der Ideo-lo­gen). Wenn Men­schen hun­gern, geht es nicht um Ana­ly­se, son­dern um Brot. Wir för­dern bes­ten­falls die ein­hei­mi­schen Eli­ten, also un­se­re (po­ten­ti­el­len) Ge­schäfts­part­ner. Ich möch­te Schrei­en.

Alle fünf Se­kun­den ver­hun­gert in die­ser Welt ein Kind unter zehn Jah­ren - in einer Welt, die einen irr­wit­zi­gen Über­fluss pro­du­ziert und ei­gent­lich viel mehr Men­schen er­näh­ren könn­te. Für Jean Zieg­ler ist Welt-Hun­ger vor allem ein Ver­tei­lungs­pro­blem, ein Sys­tem­feh­ler, eine Schan­de, ein Skan­dal, ein or­ga­ni­sier­tes Ver­bre­chen, ein Mas­sen­mord. Er kennt die Hirn­schä­den und Be­hin­de­run­gen, mit denen Kin­der auf die Welt kom­men, deren Müt­ter un­ter­ernährt sind. Er weiß, was Hun­ger an­rich­ten kann: die Aus­zeh­run­gen, die Mund­pa­ra­si­ten, die in­fi­zier­ten Atem­we­ge, die sich selbst auf­zeh­ren­den Mus­keln, die Schmer­zen. Und schlim­mer noch: Er weiß, wie wenig es braucht, um all das zu ver­hin­dern. Tat­säch­lich ge­schieht genau das Ge­gen­teil: Laut Ox­fam-Be­rech­nun­gen wur­den seit 2001 in Ent­wick­lungs­län­dern rund 230 Mil­lio­nen Hekt­ar Land ver­kauft - eine Flä­che, die etwa der West­eu­ro­pas ent­spricht. Am stärks­ten war bis­lang Afri­ka von den Land­auf­käu­fern be­trof­fen. Län­der mit schlech­ten land­wirt­schaft­li­chen Be­din­gun­gen be­zie­hungs­wei­se schnell wach­sen­den Be­völ­ke­run­gen wol­len sich so für die Zu­kunft Nah­rungs­mit­tel­si­cher­heit er­kau­fen; aber was auf den Fel­dern wächst, kommt nicht den Ein­hei­mi­schen zu­gu­te, son­dern wird ex­por­tiert. Auch in der Ukrai­ne brin­gen sich in­zwi­schen die cash-cop-In­ves­to­ren in Stel­lung.

Es sind dann ganze vier­zehn Tage ge­wor­den auf Terre d'Ocean, bis es - be­quem auf der Au­to­bahn - wie­der nach Nor­den ging: über Mar­rak­ech, das mich mit sen­gen­der Hitze em­fing und mit schnee­be­deck­ten Ber­gen des At­las­ge­bir­ges, aber auch mit dem Cam­ping­platz mit dem guten Essen und der Un­ter­kunft für Nicht-Cam­per im Kas­bah-Stil, kam ich schlie­ß­lich nach Fès. Hin­ter Mar­rak­ech wurde die Land­schaft dann wie­der grün: Bäume, Sträu­cher, schlie­ß­lich sogar Wie­sen mit Gras - grün, die seit Wo­chen fast nicht mehr ge­se­he­ne Farbe - fast wie zu­hau­se. Ach, wie schön ist es, ein rei­cher Eu­ro­pä­er zu sein! Auf dem Cam­ping­platz in Fès gibt es rich­tig hohe, alte Bäume mit viel Schat­ten - er heißt ent­spre­chend Dia­mant vert, grü­ner Dia­mant, emp­fängt mich aber nicht glit­zernd, son­dern mit vie­len Wol­ken und be­schert am Mon­tag grau­en Him­mel und Dau­er­re­gen. In­zwi­schen hat ja die Kar­wo­che be­gon­nen, es ist Fe­ri­en­zeit und des­halb sind viele Ur­lau­ber hier: Fa­mi­li­en und junge Paare - es gibt also nicht nur Men­schen jen­seits der 60, wie seit­her auf den Cam­ping­plät­zen, wo das Al­ten­heim-Fee­ling spür­bar war -, auch viele aus Deutsch­land, Hol­land, sogar Spa­ni­er.

Diens­tag, 22. März, bis Don­ners­tag, 24. März

Es hat die ganze Nacht hin­durch ge­reg­net, auch der Wet­ter­be­richt sagt bis Don­ners­tag Regen und Kälte vor­aus, und der Tag ist grau und kalt. Den­noch wage ich den Aus­flug nach Volubi­lis, der grö­ß­ten Aus­gra­bungs­stät­te in Ma­rok­ko, 40 n. Chr. - nach den Sieg der Römer über die Phö­ni­zier - über­nom­men und zur Haupt­stadt der west­li­chen rö­mi­schen Pro­vinz Mau­re­ta­ni­en ge­macht. Sie er­leb­te ihre Blü­te­zeit um 200; um 285 wurde die Haupt­stadt wegen der zahl­rei­chen Über­fäl­le durch die Ber­ber nach Tin­gis - dem heu­ti­gen Tan­ger - ver­legt. Bald dar­auf wurde die Stadt chris­tia­ni­siert und dann von Ber­bern er­obert, die Chris­ten wur­den, bis sie dann Ende des 8. Jahr­hun­dert sich den mus­li­mi­schen Er­obe­rern ge­schla­gen geben und deren Glau­ben an­neh­men muss­ten.
Die Fas­sa­de der Ba­si­li­ka, der Ver­samm­lungs­hal­le am Forum, ist be­ein­dru­ckend.

Es gibt schö­ne Mo­sai­ken, hier der Akro­bat, weil er rück­wärts auf dem Esel rei­tet.

Wenig spek­ta­ku­lär: Reste der ehe­ma­li­gen Ka­the­dra­le.

Mäch­tig: der Tri­umph­bo­gen aus dem Jahr 217.

Herr­schaft­lich: der In­nen­hof eines vor­neh­men Hau­ses.

Ver­spielt: das Mo­sa­ik im Haus der ba­den­den Nym­phen.

Re­prä­sen­ta­tiv: der Pa­last des Re­gen­ten Gor­di­a­nus am de­ca­mus ma­xi­mus, der Hapt­stra­ße, 4488 m² Grund­flä­che, ge­baut 238 bis 244.
Seit 1997 ist Volubi­lis UNESCO-Welt­kul­tur­er­be

In Sicht­wei­te von Volubi­lis liegt am Berg die Stadt Mou­lay Idris. Sie hat ihren Namen von Mou­lay Idris, der 789 als Asyl­be­wer­ber auf der Flucht vor den Schii­ten hier­her kam, schnell An­füh­rer der Ber­ber wurde und des­halb als Grün­der des Köing­rei­ches Ma­rok­ko gilt. 791 grün­de­te er die Stadt Fès, 792 wurde er von sei­nen Ver­fol­gern doch er­mor­det und un­weit von Volubi­lis be­gra­ben; am Grab ent­stand die nun nach ihm be­nann­te Sied­lung, ein wich­ti­ger Wall­fahrts­ort bis heute: drei­mal nach Maou­ly Idris ge­kom­men zählt wie eine Hadsch nach Mekka. Die Men­schen zogen dann zu­neh­mend um in die neue Stadt, im 14. Jahr­hun­dert wurde Volubi­lis end­gül­tig auf­ge­ge­ben.

Zu­rück fahre ich durch die Berge des Dja­bal Zer­houn mit herr­li­cher Land­schaft, sogar einem Son­nen­strahl. Wobei ich Glück hatte: in Volubi­lis war es die ganze Zeit tro­cken, wenn auch lau­sig kalt mit ei­si­gem Wind - ich war die letz­ten Wo­chen an Hoch­som­mer ge­wöhnt!

Am Mitt­woch zeigt sich das Wet­ter bes­ser als im Be­richt - ich fahre in die Stadt, zum Place Bagh­da­di, der die alte Stadt aus dem 9. Jahr­hun­dert mit der neuen und dem Kö­nigs­pa­last ver­bin­det, beide um­ge­ben von der 16 km lan­gen Stadt­mau­er. Fès war lange die Haupt­stadt und bis ins 20. Jahr­hun­dert das geis­ti­ge Zen­trum Ma­rok­kos; die Ka­raouyine-Mo­schee war Sitz der für den Islam nach Kairo be­deu­tends­ten Ge­lehr­ten. Hier hatte auch die Wi­der­stands­be­we­gung gegen die fran­zö­si­sche Be­set­zung ab 1911 ihr Zen­trum.

Der Park Jnane Sbil, eine Oase mit­ten in der Stadt, speist sein Was­ser aus dem Fluss Fès. Die Stif­tung von König Mo­ham­med VI. ließ ihn her­rich­ten.

Im Nor­den des Lan­des gibt es jetzt wie­der viele wilde Hunde und Kat­zen - im Un­ter­schied zum Süden fällt hier of­fen­bar genug für sie ab. Eine wilde Katze lag heute Abend auf dem Cam­ping­platz in mei­nem - so­eben frisch be­zo­ge­nen! - Bett. Auf­fal­lend sind auch die vie­len bet­teln­den Schwarz­afri­ka­ner, die es bis hier­her ge­schafft haben.

Das Tor zum Kö­nigs­pa­last ist von Po­li­zei und Mi­li­tär be­wacht. Auch Fer­di­nand von Por­tu­gal wurde hier der­einst be­wacht; er hatte 1437 er­folg­los einen Kreuz­zug gegen die Mau­ren ge­führt, war ge­fan­gen ge­nom­men wor­den und wurde schlie­ß­lich ge­tö­tet.

Di­rekt neben dem Kö­nigs­pa­last: die Mel­lah, das frü­he­re Ju­den­vier­tel; sie stan­den - gegen hohe Son­der­steu­er - unter des Kö­nigs Schutz, dafür dien­ten sie ihm als Fi­nanz­ex­per­ten. Spä­ter war dies das Vier­tel der fran­zö­si­schen Be­am­ten, heute sind die alten Häu­ser eher von ein­fa­cher Be­völ­ke­rung be­wohnt. Wie immer fas­zi­nie­rend: die Ge­schäfts­stra­ßen - hier die Rue Fès Dje­did, die Haupt­stra­ße des neuen Fès -, ob ge­deckt …

… oder offen.

In den Sei­ten­gas­sen bie­ten die Händ­ler ihre Waren an, die sich kei­nen Laden leis­ten kön­nen.

Das Bab Bou­je­loud führt in die Alt­stadt, die Me­di­na. Auch davor haben flie­gen­de Händ­ler ihre Stän­de auf­ge­baut.

Mein Gang durch die Alt­stadt fin­det dann ein schnel­les Ende: am Nach­mit­tag kommt der große Regen wie­der.

Somit wird die­ser schö­ne Haus­ein­gang mein letz­tes Ma­rok­ko-Fo­to. Der Wet­ter­be­richt mel­det wei­ter­hin Regen und Kälte, in Spa­ni­en soll es deut­lich schö­ner sein - also fahre ich schon am Don­ners­tag zur Gren­ze, be­su­che in Ceuta noch schnell die Kir­che Nue­s­tra Señora de África, die lei­der ge­schlos­sen ist - es ist Grün­don­ners­tag und heute Abend gibt es eine Pro­zes­si­on, wes­halb auch die In­nen­stadt schon ab­ge­sperrt ist - und dann geht's wie­der übers Meer zum Cam­ping­platz in Ta­rifa. Der spa­ni­sche Zoll kon­trol­liert gleich drei­mal: an der Gren­ze, bei der Auf­fahrt auf die Fähre und noch­mals nach deren An­kunft - die Fes­tung Eu­ro­pa hält ihre Mau­ern dicht - dabei hat ja schon Ma­rok­ko im Süden einen 2500 km (!!) lan­gen und 3 m hohen Wall, ge­si­chert mit Sta­chel­draht und Wach­tür­men in Sichtent­fer­nung - da kommt kein Schwarz­afri­ka­ner durch, im Zwei­fel wird von der Schuss­waf­fe Ge­brauch ge­macht. Frü­her nann­te man eine sol­che An­la­ge Schand­mau­er - aber diese dien­te ja auch nicht zur Ver­tei­di­gung des Wohl­stan­des. (Für Ma­rok­ko dient der Wall zu­gleich der Fern­hal­tung von Sa­hau­ris aus Al­ge­ri­en und Mau­re­ta­ni­en.)
Shu­kran, Danke Ma­rok­ko, es war schön hier! Die Men­schen sind aus­ge­spro­chen freund­lich - auch wenn da­hin­ter na­tür­lich in aller Regel die Hoff­nung auf ein Ge­schäft steht. Das Land hat sich ent­wi­ckelt, es stimmt - der Schleu­ser bei der Ein­rei­se hatte es mit sicht­li­chem Stolz ver­kün­det, nach­dem ich ihm ge­sagt hatte, dass ich vor 25 Jah­ren schon ein­mal hier war. Das Land ist jung: fast ein Drit­tel der Ein­woh­ner ist jün­ger als 15 Jahre, die über 65-jäh­ri­gen ma­chen nur 6,1% der Be­völ­ke­rung aus, ob­wohl die Le­bens­er­war­tung bei 75,9 Jah­ren liegt (in Deutsch­land 2011: 80,2); das Durch­schnitts­al­ter be­trägt 26,9 Jahre. Das Be­völ­ke­rungs­wachs­tum liegt bei (nur) 1 %, damit un­ter­schei­det sich Ma­rok­ko deut­lich von an­de­ren Ent­wick­lungs­län­dern; der Islam er­laubt Ge­bur­ten­kon­trol­le, es gibt für viele jetzt eine Ren­ten­ver­si­che­rung: das Land hat alle Chan­cen, den Le­bens­stan­dard wei­ter an­zu­he­ben.
Ma­rok­ko weiß auch, dass die EU-Flücht­lings­po­li­tik das Land in eine neue Lage bringt: nach dem Tür­kei-Deal wird die Be­deu­tung Ma­rok­kos bei der Ab­schot­tung durch die Ver­schie­bung von Flucht­rou­ten zu­neh­men, eben­so bei der Be­kämp­fung is­la­mis­ti­schen Ter­rors. Ma­rok­ko kann selbst­be­wusst ge­gen­über der EU auf­tre­ten und nun selbst For­de­run­gen er­he­ben, ähn­lich der Tür­kei. Schon im Ja­nu­ar ge­lang es, durch die Ver­hin­de­rung der Er­öff­nung des ers­ten IKEA-Mark­tes im Land, in Ca­sa­blan­ca, Schwe­den von sei­ner be­ab­sich­tig­ten An­er­ken­nung der West­sa­ha­ra als selb­stän­di­gen Staat ab­zu­hal­ten. Und nach­dem mit Ban Ki Moon kürz­lich erst­mals ein UN-Ge­ne­ral­se­kre­tär die West­sa­ha­ra be­such­te und dabei von einer Be­sat­zung durch Ma­rok­ko sprach, trau­te Ma­rok­ko sich, 81 zi­vi­le An­ge­stell­te der UN-Frie­dens­mis­si­on und drei Be­ob­ach­ter der Afri­ka­ni­schen Union aus dem Land zu wer­fen und droh­te sogar, alle Blau­helm­sol­da­ten zum Ver­las­sen zu zwin­gen. Als Ein­la­dung zum Krieg be­zeich­ne­te dies Ahmed Bu­ja­ri, der Ver­tre­ter der West­sa­ha­ra bei der UNO, am 17. März. Dass dort die Span­nun­gen stie­gen, hatte ich ja bei der Rück­rei­se er­lebt, jetzt weiß ich den Grund.

Das Denk­mal vor der Kir­che Nue­s­tra Señora de África in Ceuta, das an einen sieg­rei­chen Feld­zug der Spa­ni­er gegen Ma­rok­ko im 18. Jahr­hun­dert er­in­nert, ist des­halb ein Sym­bol: auf Dauer setzt sich Ko­lo­nia­lis­mus doch nicht durch - nicht da­mals, mi­li­tä­risch, und auch nicht heute, wirt­schaft­lich.

Frei­tag, 25. März

Der Kar­frei­tag wird tat­säch­lich ein herr­lich war­mer Tag. In Ca­sa­res, wo Jakob Jo­seph López Caamaño von Cádiz in der Ver­ban­nung lebte, ver­brin­gen die Men­schen den Tag auf dem zen­tra­len Platz, spä­ter wird die Pro­zes­si­on statt­fin­den.
Ach ja: die Frau­en sehen hier wie­der wie Frau­en aus und die Män­ner wie Män­ner. In Ma­rok­ko gibt es in Städ­ten wohl ein Drit­tel west­lich ge­klei­de­ter, kopf­tuch­lo­ser Frau­en; die an­de­ren und prak­tisch alle auf dem Land tra­gen Kopf­tuch und bo­den­lan­ge, weite Klei­der, auch viele Män­ner bo­den­lan­ge Djel­la­ba mit Ka­pu­ze - was auf mich - bin ich über­heb­lich? - etwas lä­cher­lich wirkt.

Auch in Spa­ni­en wer­den noch Tiere ge­nutzt …

… was für ein sol­ches Städt­chen am Berg keine schlech­te Idee ist.

Über Yun­que­ra, der Hei­mat­stadt und Be­gräb­nis­stät­te von Juan Du­ar­te Martín, komme ich nach El Burgo, wo er ei­ni­ge Zeit ge­fan­gen ge­hal­ten wurde. Schon auf der An­fahrt fällt der Blick auf die Kir­che, die wie über­all hier an der Stel­le und auf den Mau­ern des frü­he­ren mau­ri­schen Kas­tells steht.

Un­ter­wegs sticht auch die Kir­che in Alo­zai­na ins Auge.
Abends komme ich wie ge­plant auf den schon ge­wohn­ten Cam­ping­platz in Torrox. Hier werde ich die nächs­ten Tage den Sand an und in der Kiste ent­fer­nen, den so ver­füh­re­ri­schen eu­ro­päi­schen Luxus ge­nie­ßen und die Wei­ter­fahrt durch Spa­ni­en pla­nen.

Die Tracks:
Mar­rak­ech
Fès
Volubi­lis
Ta­rifa
Torrox gibt's mal wie­der nicht.

ge­schrie­ben am 18., 21. und 27. März 2016



Kommentare


Kommentar schreiben

URLs werden automatisch umgewandelt.
[b]DEIN TEXT[/b] für Fett gedruckt
[quote]DEIN ZITAT[/quote] für Zitate
[code]DEIN CODE[/code] für Code